Noch immer in zwei Welten

Dass er immer noch in zwei Welten lebt, die Vergangenheit noch nicht vollständig bewältigt hat, zieht sich durch Sally Perels ganzen Vortrag. Als Kind konnte er noch nicht verstehen, was die Nazis sagten. Dass sie ihn töten wollten, wenn sie ihn erwischten, kann er auch später noch nicht glauben. „Warum denn? Das sind doch ganz normale Menschen unter den Uniformen, und die meisten sind christlich getauft.“ Der Zwiespalt ist es, der ihn heute noch plagt, den er gar „ein Doppelleben“ nennt.

„Vergiss nicht, wer du bist“

„Sally, vergiss nicht, wer du bist“, habe ihm sein Vater beim Abschied aufgetragen, in der sicheren Annahme, sich nie wiederzusehen. „Sally, du sollst leben!“ Das Abschiedswort seiner Mutter nennt Perel heute auch „Befehl“, der ihm wohl hilft, sich langsam aus dem Doppelleben zu befreien. Als er erwischt und nach der Abstammung gefragt wurde, habe er sich schnell entscheiden müssen und sich für den „Befehl“ entschieden.

Die „Lüge“, er heiße Josef und sei ein Hitlerjunge, als er nach seiner Abstammung gefragt worden sei, habe ihm das Leben gerettet, ihn aber auch in die HJ gebracht. Dieser innere Konflikt nimmt in seinen Ausführungen breiten Raum ein, denn die Ideologie der Nazis habe ihn als Hitlerjunge keineswegs unbeeindruckt gelassen. Irgendwie habe er sie verinnerlicht.

Keineswegs durfte er aber anfangen, sich zu hassen. Ansätze seien durchaus vorhanden gewesen. Ein ständiger Kampf gegen sich selbst habe begonnen, um zu bleiben, was er ist – ein Jude. Mit der Ausrottung der Juden sei er niemals einig gewesen. Dennoch habe er „Es lebe der Sieg“ gerufen und zugleich gewusst, dass in den KZs Glaubensbrüder zu Tausenden vergast werden: „Das belastet mich zunehmend.“ Eine Besucherin will Hilfestellung leisten in diesem Konflikt: Warum hätte er nicht lügen und sich so dem Tod ausliefern sollen? Es habe für ihn nur eine Entscheidung gegeben, die für das Leben, so wie es die Mutter wollte. Dabei bleibe er ja auch Jude, das könne ihm niemand nehmen. Da spiele wohl der Begriff „Toleranz“ in der Religion eine entscheidende Rolle, meinte die Zuhörerin.

Das schien Perel fremd zu sein. Toleranz habe in einer solchen Erziehung keinen Platz gehabt, und so musste auch seine Geste auf der Bühne im Pfarrheim verstanden werden.

Sally Perel spricht niemanden schuldig, äußert Verständnis für die Jugendlichen der HJ, deren selbstständiges Denken einfach ausgeschaltet gewesen sei: „In der Masse wirkt eine andere Eigendynamik.“ Die Jugend habe alles bekommen – Flugzeuge, Motorräder, Opernkarten: „Wer könnte sich da entziehen?“ „Wie beginnt man nach der Hölle ein neues Leben?“, habe er sich gefragt, nachdem er zu der Zeit nach Bergen-Belsen gekommen war, als die Bulldozer die Leichen aufstapelten. Er entschloss sich für ein neues Zuhause in Israel, doch Deutschland bleibt für ihn nach glücklichen Kinderjahren ein Traum, es ist sein „Mutterland“ und Israel sein „Vaterland“. Er definiert es noch genauer: „Deutschland ist das Sentimentale und Israel das Nationale“. Und dann kam noch einmal der innere Konflikt: „Ich wollte nicht moralisch sterben, ich wollte moralisch überleben!“

„Schalom, Auf Wiedersehen“

Sally Perel wirkt versöhnt mit der Welt, richtet seinen Blick nicht zurück in Gedanken der Vergeltung. Er will den Blick vor allem der Jugend nach vorne richten und so wirken auch seine Schlussworte sehr überzeugend und versöhnend: „Schalom! Friede! Auf Wiedersehen!“